Epos
Abgrenzung zur Epik
Abzugrenzen ist das Epos und insbesondere das damit verbundene Adjektiv episch von der Epik und dessen gleichlautenden Adjektiv (ebenfalls episch): Während das Epos sich auf eine konkrete Form der Erzählliteratur bezieht, bezeichnet Epik auf jegliche Erzähltexte (im Gegensatz zu den beiden anderen Makrogattungen Lyrik und Dramatik).
Merkmale des Epos antiker Herkunft
Auf inhaltlicher Seite lässt sich das Epos antiker Herkunft durch die Beschreibung großer Ereignisse charakterisieren. Häufig geht es um Heldengeschichten und/oder um Gründungsgeschichten von Staaten, als Beispiele sind hier v.a. die Ilias bzw. Odyssee Homers im griechischen Bereich und die Aeneis Vergils im römisch-lateinischen Bereich zu nennen. Beide Texte genossen sowohl in der Antike als auch weit darüber hinaus, z.B. auch im Cinquecento den Status unumstößlicher Musterepen.[1] Die Heldengeschichten bzw. Gründungserzählungen der Epen sind in der Regel mit dem Mythen- und Sagenschatz eng verwoben, welcher den Zuhörenden (das Epos wurde in der Regel mündlich vorgetragen) bekannt war.
Während sich inhaltlich Einzelepisoden letztlich zu einem großen in sich geschlossenen Ganzen fügen, gliedert sich das Epos strukturell in zahlreiche Gesänge. Ebenfalls auf struktureller Ebene ist für das antike Epos maßgeblich, dass es im antiken Versmaß des Hexameters verfasst war. Weitere Charakteristika des Epos umfassen die Einbindung der Götter bzw. Musen; ein gehobener, ausgeschmückter, oft formelhafter Stil; die ausführliche Darstellung in der inzwischen sentenzartigen ‚epischen Breite‘; häufig katalogartige Aufzählungen und Darstellungen.[2]
Unterformen des Epos
Während des Heldenepos bzw. das Gründungsepos zu den bekanntesten Formen des Epos gehört, existieren auch andere Formen der Ependichtung. Explizit zu nennen ist v.a. das Lehrgedicht (oder Lehrepos). Das Lehrgedicht schildert keine Heldengeschichte oder eine Sage, sondern stellt ausführlich ein philosophisches (im weitesten Sinne) bzw. wissenschaftliches Gedankengebäude vor.
Zu den prägenden Werken des Lehrgedichts zählen neben Hesiods Werke und Tage (Ἔργα καὶ ἡμέραι) v.a. De rerum natura des Lukrez, welches die Lehre des Epikur in lateinischer Sprache darlegt, sowie Vergils Georgica, die sich mit dem Ackerbau beschäftigen. Das Lehrgedicht war nicht nur in der Antike von großer Bedeutung, sondern fand auch darüber hinaus Anwendung: Neben der Divina Commedia Dantes, die Elemente eines Lehrgedichts aufweist, sind auch im Cinquecento Versuche von Lehrgedichten belegt, so Girolamo Fracastoros Lehrgedicht über die Syphilis (Syphilis sive de Morbo gallico).[3]
Das Epos in der italienischen Literatur
Wie bereits zuvor erwähnt, stellt die Divina Commedia Dantes einen der wichtigsten Bezugspunkte für die italienische Ependichtung dar. Neben Homer und Vergil wurde Dantes Commedia zuweilen als drittes Epen-Modell angeführt.[1] Dabei finden sich in der Commedia sowohl Merkmale eines Lehrepos (über das überwiegend katholische Weltbild) als auch Elemente eines Heldenepos, man denke an die inhaltlich zumindest teilweise Parallele zwischen der Irrfahrt des Odysseus und der ‚langen‘ Reise der Figur Dantes durch die Jenseitsreiche. Strukturell ließen sich die Aufgliederung in Gesänge (Canti) nennen, aber auch stilistisch finden sich epische Elemente im Sinne des Epos, wenngleich die Commedia keinen homogenen episch-hohen Stil etabliert, sondern von einer Pluralität der Stile gekennzeichnet ist.[4]
Neben der Commedia ist auch Ariosts Orlando furioso als großes Epos der italienischen Literatur bekannt. In ihm vereinen sich Ritterepos, aber auch deutlich komische Elemente. Gewissermaßen in einem Atemzug mit Ariost wird häufig auch Torquato Tasso genannt, dessen Gerusalemme liberata bzw. dessen überarbeitete Version, die Gerusalemme conquistata, am Ende des Cinquecento und darüber hinaus maßgeblichen Einfluss hatte. Besondere Bedeutung hatte die Ependichtung außerdem im italienischen Settecento. Während der Roman in Italien – im Gegensatz zu Frankreich oder England – im Settecento weniger produktiv war, entstanden zahlreiche (Lehr-)Epen bzw. Werke, die man in den Einzugsbereich des Epos stellen kann. Zu nennen sind insbesondere Giuseppe Parinis Il Giorno oder Gian Carlo Passeronis Cicerone.[5]
Literaturnachweise
- Vgl. u.a. MÜLLER-BOCHAT, Eberhard 1966: „Die Einheit des Wissens und das Epos. Zur Geschichte eines utopischen Gattungsbegriffs“, in: Romanistisches Jahrbuch, Bd. 17, S. 58–81, hier v.a. S. 61.[↩][↩]
- Vgl. v.a. LATACZ, Joachim 2014: „Epos II: Klassische Antike“, in: Joachim Latacz. Homers Ilias: Studien zu Dichter, Werk und Rezeption, hg. von Thierry Greub, Krystyna Greub-Fracz und Arbogast Schmitt, Berlin/Boston, S. 177–188.[↩]
- Vgl. zum Lehrgedicht in der italienischen Literatur der Frühen Neuzeit v.a. ROELLENBLECK, Georg 1975: Das epische Lehrgedicht Italiens im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, München.[↩]
- Vgl. CONTINI, Gianfranco 1970: „Preliminari sulla lingua del Petrarca“, in: Varianti e altra linguistica, hg. von Giulio Einaudi, Turin, S. 169–192, hier v.a. S. 171–173.[↩]
- Vgl. KAPP, Volker: Italienische Literaturgeschichte, Stuttgart, S. 237–239.[↩]