Tragödie
Die Tragödie nach Aristoteles: Held, Stil und Harmatia
Die antike griechische Tragödie ist durch mehrere Merkmale als solche identifizierbar.[1] Zum einen ist der tragische Held zu nennen, den eine tragische Schuld trifft. Tragisch ist die Schuld v.a. deshalb, weil der tragische Held sich unwissentlich verschuldet. Ein Beispiel ist König Ödipus, der seinen Vater tötet, ohne zu wissen, dass es sich um seinen Vater handelt (der Vatermord wurde in der Antike als verwerflicher angesehen als die Tötung eines anderen Menschen). Meist handelt es sich bei den Helden der griechischen Tragödie um Figuren des hohen Standes. Der Stil ist in der Regel ein hoher.[2] Gemäß der aristotelischen Poetik ist die eben beschriebene Schuld mit der Harmatia (ἁμαρτία) verbunden, also einem Fehler, den der Held (unwissentlich) begangen hat.[3]
Die Tragödie nach Aristoteles: Peripetie, Anagnorisis, Katharsis, Phobos, Elos
Ein weiteres Merkmal der Tragödie nach Aristoteles ist die Peripetie (περιπέτεια), d.h. im Laufe der Handlung kommt es zu einer Art ‚Kipppunkt‘ und das Gegenteil dessen, was der Held eigentlich erreichen will bzw. soll, tritt ein. Diese Peripetie ist häufig mit der Anagnorisis (ἀναγνώρισις) verbunden, also der ‚Wiedererkennung‘ bzw. das ‚Kippen‘ von Nichtwissen zu Wissen. Weitere wichtige Aspekte der Tragödie nach Aristoteles beziehen sich auf deren Wirkung.[4] Sie soll beim Publikum durch das Schauen der tragischen Handlung eine ‚reinigende‘ Wirkung erzielen. Dies ist mit dem in der Aristoteles-Forschung und darüber hinaus umstrittenen Begriff der Katharsis (ϰάϑαρσις) verbunden.[5] Hinzu kommen die Effekte des Eleos (ἔλεος), also in etwa des Mitleids, und des Phobos (φόβος), zu Deutsch der Furcht.[6]
Aufbau der Tragödie in der antiken Praxis
Neben den theoretischen Überlegungen des Aristoteles kann man die griechische Tragödie auch über Strukturmerkmale der konkreten Stücke beschreiben. Ein wichtiges Element ist hierbei die Präsenz eines Chores, sodass sich im Stück Chor-Einlagen und Szenen mit den eigentlich handelnden Figuren abwechseln. Daneben ist die klassische griechische Tragödie durch folgenden Aufbau gekennzeichnet:[7]
- Prolog
- Parodos (Einzug des Chores)
- Haupthandlung (bestehend aus Szenen der handelnden Figuren, Epeisodeia, und Choreinlagen, Stasima; normalerweise endet die Handlung mit einem Stasimon)
- Exodus (Auszug von Schauspielern und Chor)
Geschichte der Tragödie in Italien bis Scipione Maffei
Die Tragödie war für das italienische Theater über alle Zeiten von Bedeutung. So ist u.a. die Tradition der Darstellung christlicher Inhalte in Tragödien-Form von Bedeutung. Herausragend für das italienische Theater bzw. die italienische Literatur sind jedoch insbesondere zwei Bereiche. Zum einen ist es die Opera d’arte, die v.a. zu Beginn als Opera seria von mythologisch-tragischen Elementen geprägt ist. Ein Beispiel ist die Didone abbandonata Pietro Metastasios.[8] Ein weiterer Punkt ist die Theaterreform im Settecento. Eine wichtige Figur war hierbei Scipione Maffei. Er wandte sich gegen die Tragödienpraxis des Franzosen Pierre Corneille[9] und sprach sich gegen eine Vermischung der Tragödie mit Elementen der Commedia dell’arte und der Opera d’arte.[10] Die Tragödie Merope Maffeis kann in diesem Zusammenhang als Tragödien-Modell verstanden werden.
Geschichte der Tragödie in Italien: Vittorio Alfieri
Nach Maffei widmete sich v.a. Vittorio Alfieri der Tragödie im Italienischen. Er verfasste 22 Tragödien, die einem starren Grundschema folgen und sich intensiv auf die antike Tragödie beziehen. Zentrales Element der Tragödien Alfieris ist die Gegenüberstellung eines Freiheitshelden und eines Tyrannen. Ein Beispiel ist La congiura de’ Pazzi, in der Raimondo sich der Medici-Herrschaft im Florenz des Quattrocento widersetzt und Giuliano de’ Medici tötet, dabei aber selbst ums Leben kommt. Zwar erlebte Alfieri eine begeisterte Rezeption im Risorgimento. Sein Tragödienprojekt hatte aber letztlich keinen Erfolg. Seine Tragödien und auch deren zugrundeliegender Freiheitsbegriff werden inzwischen kritisch diskutiert.[11]
Literaturnachweise
- Vgl. zu den wichtigsten Elementen der Tragödie u.a. GELFERT, Hans-Dieter 1995: Die Tragödie : Theorie und Geschichte, Göttingen, S. 15–19[↩]
- Vgl. zum hohen Stil der Tragödie u.a. GÖDDE, Susanne 2016: „Pathos in der griechischen Tragödie“, in: Handbuch Literatur & Emotionen, hg. von Martin von Koppenfels und Cornelia Zumbusch, Berlin/Boston, S. 209–243. Zur in diesem Zusammenhang auch wichtigen Dreisitllehre vgl. SCHIRREN, Thomas 2009: „Niveau der Textgestaltung (Dreistillehre/genera dicendi)“, in: Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Rhetorik und Stilistik = Rhetoric and Stylistics, Bd. 2, hg. von Ulla Fix, Gerold Ungeheuer, Herbert Ernst Wiegand, Berlin/New York, S. 1425– 1444.[↩]
- Vgl. ARISTOTELES 1995: „Περὶ ποιητικῆς“, in: Aristotle. Poetics; Longinus. On the Sublime; Demetrius. On Style, übersetzt von Stephen Halliwell, Cambridge MA, S. 27–141, hier S. 70 (=1453a).[↩]
- Vgl. ARISTOTELES 1995: „Περὶ ποιητικῆς“, in: Aristotle. Poetics; Longinus. On the Sublime; Demetrius. On Style, übersetzt von Stephen Halliwell, Cambridge MA, S. 27–141, hier S. 64; 66 (= 1452a–1452b).[↩]
- Vgl. u.a. SCHADEWALDT, Wolfgang 1996: Die griechische Tragödie, Frankfurt am Main, v.a. S. 11–34 zur Problematik der Begriffe ϰάϑαρσις, φόβος und ἔλεος.[↩]
- Vgl. ARISTOTELES 1995: „Περὶ ποιητικῆς“, in: Aristotle. Poetics; Longinus. On the Sublime; Demetrius. On Style, übersetzt von Stephen Halliwell, Cambridge MA, S. 27–141, hier S. 46; 48 (= 1449b).[↩]
- Vgl. u.a. ZIMMERMANN, Bernhard 1992: Die griechische Tragödie : Eine Einführung, München/Zürich, v.a. S. 21–23.[↩]
- Vgl. zur Didone abbandonata Metastasios MEHLTRETTER, Florian 2020: Orpheus und Medusa: Poetik der italienischen Oper 1600-1900, Baden-Baden, S. 209–217.[↩]
- Vgl. MAFFEI, Scipione 1719: „Osservazioni sopra la Rodoguna, tragedia francese“, in: Rime E Prose Del Sig. Marchese Scipione Maffei, hg. von Niccolò Coleti, Venedig, S. 165–1[7]5, online unter: https://books.google.it/books?id=HEFhAAAAcAAJ&pg=PA165#v=onepage&q&f=false.[↩]
- Vgl. MAFFEI, Scipione 1829: „Discorso intorno al teatro italiano“, in: Opuscoli letterarii di Scipione Maffei con alcune sue lettere edite ed inedite, hg. von Bartolomeo Gamba, Venedig, S. 67–112, online unter: https://books.google.de/books?id=9abW-FfF6LgC&pg=PA67#v=onepage&q&f=false.[↩]
- Vgl. KAPP, Volker: Italienische Literaturgeschichte, Stuttgart, S. 222–225.[↩]