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Sonett

 

Das Sonett ist eine der wichtigsten lyrischen Formen der italienischen, wenn nicht gar der europäischen Literatur. In der italienischen Literatur verbindet man das Sonett insbesondere mit dem Dichter Francesco Petrarca und mit dessen Canzoniere. Doch auch jenseits von Petrarca spielt das Sonett in der italienischen Literatur eine zentrale Rolle.

Ursprünge des Sonetts

Die ‚Erfindung‘ des Sonetts wird meist mit dem Namen Giacomo da Lentinis (oft auch Jacopo da Lentini) in Verbindung gebracht. Somit ist die ‚Innovation‘ des Sonetts mit den Anfängen der italienischen Literatur im Duecento und mit der Scuola Siciliana verbunden.[1] Die eigentlichen Ursprünge wurden (und werden z.T.) dagegen kontrovers diskutiert. Zwar ist die Hypothese, das Sonett sei aus zwei strambotti entstanden, mittlerweile so gut wie verworfen. Stattdessen wird eine Entstehung aus der Tradition der Kanzone heraus favorisiert. Doch sind die genauen Entstehungsmechanismen weiterhin Gegenstand der Forschung.[2]

Struktur des Sonetts

Das italienische Sonett ist stark formalisiert: Es besteht in seiner grundlegenden Form aus 14 endecasillabi (elfsilbigen Versen). Diese sind in zwei Gruppen unterteilt, einer Gruppe aus 8 Versen und einer Gruppe aus 6 Versen. Die erste Gruppe wird oft als ottava oder ottato bezeichnet, auch der Begriff fronte (mit Bezug auf die Kanzonentradition) findet sich.[3] Oft wird die erste Gruppe auch als Kombination zweier Quartette (oder quartine) beschrieben,[4] wobei die Unterteilung in zwei Vierergruppen nicht unumstritten ist.[5]

Die zweite Gruppe bestehend aus 6 Versen nennt man dagegen sestina oder sestetto bzw. sirma mit Bezug auf die Kanzonentradition.[6] Diese 6 Verse werden meist als zwei Terzette (oder terzine) beschrieben[7] – eine alternative Gliederung in Zweiergruppen ist angesichts der Überlieferungstradition wenig plausibel.[8]

Die Reimstruktur ist wiederum äußerst heterogen und es gibt keine allgemeingültige Formel, welche die Reimstruktur aller Sonette beschreibt. Dennoch kann man festhalten, dass fronte (also die ersten 8 Verse) und sirma (also die letzten 6 Verse) eigentlich nie die gleichen Reime nutzen. Entsprechend werden die Reime der fronte meist mit A und B notiert. Diejenigen der sirma mit C und D (und manchmal E).[9]

Sonett und Petrarca

Das italienische Sonett wird meist mit dem Namen Francesco Petrarcas in Verbindung. Dessen Canzoniere, ausgehend von Vat. lat. 3195, umfasst 317 Sonette (von 366 Gedichten insgesamt).[10] Die starke assoziative Kopplung von Sonett und dem Namen Petrarcas dürfte unterdessen v.a. mit dem nachfolgenden Petrarkismus zu tun haben. Dieser beeinflusste die italienische (und auch europäische) Literatur maßgeblich und über lange Zeit, z.T. bis heute. Spätestens mit Pietro Bembo Anfang des 16. Jahrhunderts war Petrarca als Modellautor im Lyrischen ‚kodifiziert‘.[11]

Auch wenn die genaue Definition des Petrarkismus komplex ist und kontrovers diskutiert wird,[12] erscheint es plausibel, festzustellen: „Der Petrarkismus hat seine Gattungsheimat ganz eindeutig im Sonett beziehungsweise im Sonettzyklus.“[13]

Alternative Sonettformen

Das italienische Sonett ist zwar stark formalisiert. Dennoch entwickelten sich im Laufe der Zeit auch Unterformen, welche die Form des Sonetts modifizierten. Zum einen ist hierbei die Summa Artis Rithimici Vulgaris Dictaminis Antonio da Tempos zu nennen, in der auch Varianten des Sonetts beschrieben sind. Da Tempo beschriebt u.a. das Sonetto ritornellato.[14] Dieses fügt an das eigentliche Sonett noch einen weiteren Vers hinzu, der mit dem letzten Sonettvers reimt. Neben dieser Form existiert auch eine Form mit „ritornello doppio“.[15] Bei diesem werden zwei Verse an das Sonett angehängt, wobei sie einen anderen Reim als die Sonettverse haben.

Nicht zu verwechseln ist das Sonetto ritornellato mit dem Sonetto caudato, der wohl wichtigsten Variation des Sonetts. Bei diesem wird an das Sonett zunächst ein settenario (ein Vers aus sieben Versen) angehängt, wobei dieser mit dem letzten Sonettvers reimt. Hierauf folgen noch zwei endecasillabi (Verse aus elf Silben), die nicht mit den Sonettversen reimen. Die Bedeutung des Sonetto caudato liegt insbesondere in der komischen, z.T. burlesken Literatur, die mitunter mit antipetrarkistischen oder generell antiklassizistischen Tendenzen verbunden ist, z.B. bei Francesco Berni.[16]



Literaturnachweise
  1. Vgl. BELTRAMI, Pietro G. 1991: La metrica italiana. Bologna: Mulino, S. 236.[]
  2. Vgl. BAUSI, Francesco/MARTELLI, Mario 1993: La metrica italiana: teoria e storia. Florenz: Le Lettere, S. 54.  Vgl. auch BORGSTEDT, Thomas 2009: Topik des Sonetts: Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Tübingen: Niemayer, S. 120–121 sowie 122–128.[]
  3. Vgl. BELTRAMI, Pietro G. 1991: La metrica italiana. Bologna: Mulino, S. 238.[]
  4. Vgl. ELWERT, Wilhelm T. 1984: Italienische Metrik. Wiesbaden: Steiner, S. 112[]
  5. Vgl. BORGSTEDT, Thomas 2009: Topik des Sonetts: Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Tübingen: Niemayer, S. 134.[]
  6. Vgl. BELTRAMI, Pietro G. 1991: La metrica italiana. Bologna: Mulino, S. 238.[]
  7. Vgl. ELWERT, Wilhelm T. 1984: Italienische Metrik. Wiesbaden: Steiner, S. 112[]
  8. Vgl. BORGSTEDT, Thomas 2009: Topik des Sonetts: Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Tübingen: Niemayer, S. 135.[]
  9. Trotzdem kann man zumindest eine ‚typische‘ Form im Gefolge Petrarcas ansetzen: „[Die Form] des vierzehnzeiligen isometrisch-hendekasyllabischen Sonetts, vorzugsweise mit den Reimschemata ABAB ABAB oder häufiger ABBA ABBA für die Oktav sowie für das Sextett CDC DCD, CDE CDE oder CDE DCE.“, HUSS, Bernhard/MEHLTRETTER, Florian/REGN, Gerhard 2012: Lyriktheorie(n) der italienischen Renaissance. Berlin/Boston: De Gruyter, S. 141, Fn 506.[]
  10. VECCHI GALLI, Paola 2018, „Introduzione“, in: Francesco Petrarca. Canzoniere, hg. von Paola Vecchi Galli, Mailand: Rizzoli, S. 7–58, hier: S. 34.[]
  11. Vgl. REGN, Gerhard 2004: „Autorität, Pluralisierung, Performanz – die Kanonisierung des Petrarca volgare“, in: Questo leggiadrissimo Poeta! Autoritätskonstitution im rinascimentalen Lyrik-Kommentar, hg. von Gerhard Regn, Münster: LIT, S. 7–23, hier S. 8–13.[]
  12. Vgl. u.a. HEMPFER, Klaus W. 1987: „Probleme der Bestimmung des Petrarkismus. Überlegungen zum Forschungsstand“, in: Die Pluralität der Welten, hg. von Wolf-Dieter Stempel, Karl-Heinz Stierle, München: Fink, S. 253–277. Vgl. auch REGN, Gerhard 2003: „Petrarkismus“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 6: Must-Pop, hg. von Gert Ueding. Tübingen: Niemeyer, Sp. 911–921.[]
  13. BORGSTEDT, Thomas 2009: Topik des Sonetts: Gattungstheorie und Gattungsgeschichte. Tübingen: Niemayer, S. 269.[]
  14. DA TEMPO, Antonio 1869: Delle rime volgari trattato, composto nel 1332, hg. von Giusto Grion. Bologna: Gaetano Romagnoli, S. 113–115, online: https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb10755210?page=113.[]
  15. Vgl. BELTRAMI, Pietro G. 1991: La metrica italiana. Bologna: Mulino, S. 244. Vgl. auch DA TEMPO, Antonio 1869: Delle rime volgari trattato, composto nel 1332, hg. von Giusto Grion. Bologna: Gaetano Romagnoli, S. 115–116, online: https://www.digitale-sammlungen.de/en/view/bsb10755210?page=115.[]
  16. Vgl. BELTRAMI, Pietro G. 1991: La metrica italiana. Bologna: Mulino, S. 245. Vgl. zu Berni einschlägig: Schulz-Buschhaus, Ulrich 1993: „Spielarten des Antipetrarkismus bei Francesco Berni“, in: Der petrarkistische Diskurs. Spielräume und Grenzen, hg. von Klaus W. Hempfer, Gerhard Regn, Stuttgart: Steiner, S. 281–332. Zu Berni vgl. FRIEDE, Susanne A./SANDRINI, Aina 2023: „Explicit Anti-classicism“, in: A Companion to Anticlassicisms in the Cinquecento, hg. von Marc Föcking, Susanne A. Friede, Florian Mehltretter, Angela Oster, Berlin/Boston: De Gruyter, S. 13–104, hier: S. 14–18.[]

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