Intertextualität
Ursprünge der Intertextualität
Weithin Konsens ist, dass die grundlegenden Ideen zur Intertextualität auf die Arbeit Michail Bachtins zur Dialogizität zurückgeht.[1] Die eigentliche Verwendung des Intertextualitätsbegriffs wird dagegen in der Regel Julia Kristeva zugeschrieben, die von Intertextualität ausgehend von ihrer Interpretation der Dialogizität Bachtins spricht. [2] Die konkrete Definition des Begriffs Intertextualität ist seit seiner ersten Verwendung Gegenstand kontroverser Forschungsdiskussionen. Neben der erwähnten Frage nach dem zugrundeliegenden Textbegriff stellt auch die weitere, zumeist taxonomische, Ausdifferenzierung der Intertextualität einen Streitpunkt dar.
Genettes Taxonomie
Ein prominentes Beispiel ist die Taxonomie Gérard Genettes, der zwar in seinem Konzept allgemein von Transtextualität als Oberbegriff spricht und unter Intertextualität die „effektive Präsenz eines Textes in einem anderen“ („la présence effective d’un texte dans un autre“) versteht.[3] Dennoch geht es Genette darum, was zumeist unter dem Begriff Intertextualität verhandelt wird: allgemein Verbindungen zwischen Texten. Genette unterscheidet hierbei zwischen der bereits erwähnten Intertextualität (im Genetteschen Sinne), der Paratextualität, Metatextualität, Hypertextualität und Architextualität. Kritik wurde an Genette u.a. wegen der zahlreichen Untertermini, v.a. im Bereich der Hypertextualität laut.[4] Aber auch die konkrete Sinnhaftigkeit der Taxonomie als solcher wurde kritisiert: U.a. wird bemängelt, dass die Architextualität nicht ohne weiteres auf eine Stufe mit den anderen Formen der Intertextualität (oder Transtextualität entsprechend der Genetteschen Termini) zu stellen ist, da sie sich nicht auf einzelne Texte bezieht, sondern die Positionierung eines Textes gegenüber einer Textfiliation beschreibt.[5]
Einzeltext- und Systemreferenzen
Die Unterscheidung von Verbindungen zwischen einzelnen Texten und ‚Systemen‘ stellt wiederum einen wichtigen Aspekt der Arbeit von Manfred Pfister und Ulrich Broich dar. Sie unterscheiden zwischen Einzeltextreferenzen[6] und Systemreferenzen. [7] Weitergehend differenzieren sie zwischen Erwähnungen und Aktualisierungen, die sie mit den linguistischen Termini mention und use engführen. In diesem Zusammhang ist u.a. auch die Arbeit von Franz Penzenstadler zu nennen, der ausgehend von der Unterscheidung zwischen Einzeltextreferenz/Systemreferenz und Erwähnung/Aktualisierung die Applikation dieser Begriffe auf die frühneuzeitliche italienischsprachige Textpraxis erprobt.[8]
Mit der Frühen Neuzeit (bzw. auch mit der Antike) eröffnet sich ein weiterer kontroverser Bereich rund um die Intertextualität. Es ist zu diskutieren, inwiefern das Konzept der imitatio (das mindestens für Antike und Frühe Neuzeit je unterschieden werden muss) mit dem Forschungsparadigma der Intertextualität in Verbindung gebracht werden kann und sollte. Dabei geht es auch um die Frage, worin letztlich die Unterschiede zwischen imitatio und Intertextualität liegen. So lässt sich die imitatio als eine historisch konkrete, spezielle Form von Intertextualität auffassen.[9]
Arbeit mit dem Begriff der Intertextualität
An dieser Stelle wurden nur zentrale Auffassungen von Intertextualität beschrieben, es gibt jedoch zahlreiche weitere Auslegungen dieses Paradigmas. Als Bespiel wäre die Taxonomie von Susanne Holthius zu nennen.[10] Ein allgemeingültiger Terminus Intertextualität existiert somit nicht. Außerdem sind die wissenschaftstheoretischen Aspekte, die dieser Forschungsrichtung zugrunde liegen, alles andere als trivial. Auch wenn der Begriff der Intertextualität auf den ersten Blick zwar intuitiv leicht fassbar ist, gilt es deshalb stets zu hinterfragen, wie dieser in seiner konkreten Anwendung sinnvoll zu definieren ist.
Literaturnachweise
- Vgl. BACHTIN, Michail 1979: „Das Wort im Roman“, in: Michail M. Bachtin. Die Ästhetik des Wortes, hg. von Rainer Grübel, Frankfurt am Main, S. 154–300.[↩]
- Vgl. KRISTEVA, Julia 1969: „Le mot, le dialogie et le roman“, in: Σημειωτική. Recherches pour une sémanalyse, hg. von Èditions du Seuil, Paris, S. 143–172.[↩]
- GENETTE, Gérard 1982: Palimpsestes, Paris, S. 8[↩]
- Vgl. u.a. STIERLE, Karlheinz 1996: „Werk und Intertextualität“, in: Das Gespräch, hg. von Karlheinz Stierle, Rainer Warning, München, S. 139–150, hier: S. 149, Fn 21.[↩]
- Vgl. u.a. HEMPFER, Klaus W. 2018: Literaturwissenschaft – Grundlagen einer systematischen Theorie, Stuttgart, S. 155–157[↩]
- Vgl. BROICH, Ulrich 1985: „Zur Einzeltextreferenz“, in: Intertextualität: Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, hg. von Ulrich Broich, Manfred Pfister, Tübingen, S. 48–52.[↩]
- Vgl. PFISTER, Manfred 1985: „Zur Systemreferenz“, in: Intertextualität: Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien, hg. von Ulrich Broich, Manfred Pfister, Tübingen, S. 52–58.[↩]
- Vgl. PENZENSTADLER, Franz 1993: „Elegie und Petrarkismus. Alternativität der literarischen Referenzsysteme in Luigi Alamannis Lyrik“, in: Der petrarkistische Diskurs. Spielräume und Grenzen, hg. von Klaus W. Hempfer, Gerhard Regn, Stuttgart, S. 77–114.[↩]
- Vgl. KABLITZ, Andreas 1991: „Intertextualität als Substanzkonstitution. Zur Lyrik des Frauenlobs im Duecento: Giacomo da Lentini, Guido Guinizelli, Guido Cavalcanti, Dante Alighieri“, in: POETICA, Bd. 23, S. 20–67, hier S. 24.[↩]
- Vgl. HOLTHUIS, Susanne 1993: Intertextualität, Tübingen.[↩]