Imitatio
Verschiedene Formen der imitatio
Zunächst ist die imitatio von der Mimesis zu unterscheiden, die oft auch als imitatio naturae tituliert wird. Bei dieser Form der ‚Nachahmung‘ geht es v.a. darum, Realität bzw, menschliche Handlungen abzubilden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die aristotelische Poetik von großer Bedeutung, die u.a. darauf abhebt, dass sowohl ‚gute‘ als auch ‚schlechte‘ Menschen ‚nachahmend‘ dargestellt werden können.[1] Gleichwohl ist zu beachten, dass die Poetik des Aristoteles kein eindeutiger Text ist. Zum einen ist nur der Teil zur Tragödie überliefert, ein zweiter Teil zur Komödie ist verschollen. Außerdem ist der Text der Poetik an einigen Stellen schwer zu deuten bzw. ergeben sich mehrere, z.T. widersprüchliche Lesarten.
Neben der imitatio naturae ist die imitatio morum zu nennen, die auf eine ‚Nachahmung‘ von Vorbildern im Verhalten beschreibt. Im Mittelalter und auch in der Frühen Neuzeit war die spezielle Ausprägung der imitatio morum als imitatio Christi von besonderer Bedeutung: Es galt, das (religiöse zu befürwortende) Handeln Jesu Christi ‚nachzuahmen‘[2].
Die dritte und für die Literaturwissenschaft zumeist relevanteste ‚Spielart‘ ist die imitatio auctorum oder auch imitatio veterum. Diese beschreibt die rhetorische und poetische ‚Nachahmung‘ vorbildlicher Dichter und Redner.
Imitatio auctorum in der Antike
In der Antike war die imitatio auctorum stark mit dem Gedanken der exercitatio, also der praktischen Übung, verbunden.[3] Die ‚Nachahmung‘ wurde nicht zum ‚Selbstzweck‘ betrieben, sondern sollte den ‚Nachahmenden‘ letztlich dazu befähigen, selbst herausragende Dichtung oder Reden produzieren zu können. Auch ein Wetteifern mir den Vorbildern bzw. die Möglichkeit der Überbietung derselben (in der Forschung zumeist als aemulatio oder superatio beschrieben) war von entscheidender Bedeutung, insbesondere Quintilian in seiner Institutio Oratoria hebt hierauf ab.[4] Neben Quintilian sind Cicero (v.a. De Oratore und Orator ad M. Brutum) und die anonyme Rhetorica ad Herrenium als wichtige Autoren bzw. Texte zu nennen, die sich intensiv mit der imitatio beschäftigen.
Imitatio in der Frühen Neuzeit
Während die imitatio in der Antike an die exercitatio gekoppelt war, also einen instrumentellen Charakter hatte, lässt sich für die Frühe Neuzeit eine andere Ausprägung der imitatio postulieren. Zwar gab es in der literarischen Praxis auch andere Formen der Auseinandersetzung mit vorläufigen Texten und Autoren (v.a. dialogische Verfahren)[5]. Doch wurde gerade um 1500 die ‚Nachahmung‘ auf theoretischer Ebene als ein ‚System‘ verhandelt, das die Prinzipien textueller Produktion bestimmt, ohne jedoch einen instrumentellen Charakter anzunehmen:
Aus der Verankerung im System der Rhetorik gelöst, erhält die imitatio eine neue Funktion. Der Bezug zum – nur noch mit Konventionen zu legitimierenden – modellhaften Text verliert seinen instrumentalen Charakter, dienst längst nicht mehr der exercitatio, sondern wird selbst zu einer Begründungsinstanz.[6]
Hierbei ist v.a. der Name Pietro Bembos zu nennen, der sich im Zusammenhang mit der Questione della lingua zur Modellhaftigkeit Petrarcas und dessen ‚Nachahmung‘ äußerte. Dabei postulierte er eine parallele zwischen volkssprachlicher ‚Nachahmung‘ und der lateinischen ‚Nachahmung‘ des Modellautors Cicero (Ciceronianismus), wobei auch die Frage nach der grundsätzlichen Möglichkeit von aemulatio bei der ‚Nachahmung‘ im Zentrum stand. Dabei wurden auch die philosophischen Grundlagen der ‚Nachahmung‘ bzw. deren Möglichkeit intensiv diskutiert, hier ist der Austausch zwischen Pietro Bembo und Giovanni Francesco II Pico della Mirandola zu nennen.[5]
Literaturnachweise
- ARISTOTELES 1995: „Περὶ ποιητικῆς“, in: Aristotle. Poetics; Longinus. On the Sublime; Demetrius. On Style, übersetzt von Stephen Halliwell, Cambridge MA, S. 27–141, hier S. 32 (= 1448a).[↩]
- Vgl. v.a. DE RENTIIS, Dina 1996: Die Zeit der Nachfolge, Berlin.[↩]
- Vgl. CIZEK, Alexandru 1994: Imitatio et tractatio. Die literarisch-theoretischen Grundlagen der Nachahmung in Antike und Mittelalter, Berlin.[↩]
- Vgl. QUINTILIANUS, Marcus Fabius 2002: „Institutio Oratoria“, in: Quintilian. Institutio Oratoria/The Orator’s Education, 5 Bde., übersetzt von Donald A. Russell, Cambridge, MA, Bd. 4, S. 334; 336 (= X, 2, 28).[↩]
- Vgl. MEHLTRETTER, Florian 2009: Kanonisierung und Medialität, Berlin.[↩][↩]
- KABLITZ, Andreas 1986: „Intertextualität und die Nachahmungslehre der italienischen Renaissance. Überlegungen zu einem aktuellen Begriff aus historischer Sicht (II)“, in: Italienische Studien, Bd. 9, S. 19–35, hier: S. 30, Format im Original[↩]