Elocutio
Elocutio als Teil der Ausarbeitung einer Rede
Die Rhetorik bezieht sich in erster Linie (wenngleich nicht ausschließlich) auf die Ausarbeitung von Reden. Dabei kann der übliche und von den klassisch-lateinischen Rhetorikern anzuempfehlende Prozess in fünf Schritte unterteilt werden. Auf die innovatio, die Findung des Themas, folgt die dispositio oder grob die Strukturierung des Themas. Hierauf folgt die elocutio, die dafür sorgt, dass der strukturierte Redegegenstand in passende und effektvolle Worte gekleidet wird. Hierbei kommen die beiden Termini res und verba ins Spiel. Während die res den Redegegenstand bezeichnet, beziehen sich die verba auf die konkrete sprachliche Ausgestaltung. Auf die elocutio folgen noch die memoria, das effektive Auswendiglernen der Rede, sowie die actio oder pronuntiatio, also der Vortrag als solcher.[1]
Grundaspekte der elocutio
Man könnte annehmen, dass sich die elocutio ausschließlich auf die sprachliche Form, also im klassisch-lateinischen Sinne auf die verba bezieht. Sicher sind die verba ein wichtiger Aspekt der elocutio. Doch ist die elocutio im antiken Verständnis kaum ohne die res denkbar. Es geht nicht darum, einfach möglichst (viele) effektvolle Worte zu finden. Vielmehr geht es darum, die Wörter effektvoll, aber auch der Sache (res) angemessen zu wählen. In diesem Sinne ist die elocutio auch mit dem aptum assoziiert.[2] In der berühmten Herennius-Rhetorik (oder Rhetorica ad Herennium) heißt es:
Elocutio est idoneorum verborum et sententiarum ad inventionem adcommodatio. [Die stilistische Gestaltung des Stoffes ist die zur Stoffauffindung [inventio] passende Anwendung geeigneter Wörter und Sätze.][3]
Eine ähnliche Position findet sich auch bei anderen wichtigen Rhetorikern wie Cicero oder Quintilian. Dieser Position folgend, macht es einen Unterschied in der Ausgestaltung, ob man z.B. eine gerichtliche Verteidigungsrede oder eine Lobesrede auf eine/n Jubilaren hält. Die konkreten verba (und damit verbunden auch der Prozess der elocutio) werden bei beiden Redeanlässen unterschiedlich ausfallen. Konkret heißt dies, dass insbesondere unterschiedlicher ornatus (Redeschmuck) Anwendung finden wird. Dabei besteht der ornatus aus Redefiguren (oft als rhetorische Mittel bezeichnet), ist mit diesen aber nicht identisch. Auch Aspekte wie die (Nicht-)Komplexität von Nebensatzstrukturen kann zum ornatus gerechnet werden.
Elocutio und die griechische Tradition
Bis hier stand die römisch-lateinische Tradition im Fokus, da die kanonische und auch heute oft benutzte Terminologie aus der klassischen-römischen Zeit stammt. Doch bereits deutlich früher war die Rhetorik ein wichtiger Aspekt des gesellschaftlichen Lebens. Die Ursprünge der Rhetorik verortet man häufig bei Aristoteles, dessen Rhetorik als erster Versuch einer umfassenden und systematischen Darstellung der Redekunst gilt. Die Grundzüge des Prozesses der Ausarbeitung der Rede bei Aristoteles deckt sich mit der römisch-lateinischen Systematik. Ein wichtiger Unterschied ist, dass bei Aristoteles die memoria noch keine eigenständige Phase der Ausarbeitung einer Rede darstellte. Somit bleiben bei ihm vier (statt fünf) Schritte. Die sprachliche Ausgestaltung des Redegegenstands findet sich jedoch auch bei Aristoteles an dritter Stelle und heißt léxis (λέξις).[4]
Während neben Aristoteles selbstredend auch andere Theoretiker sich mit der Redekunst auseinandergesetzt haben, ist vor allem der Name Theophrast zu nennen. Von diesem ist überliefert, dass er sich intensiv mit der léxis auseinandergesetzt hat und das aristotelische System weiterentwickelt haben soll. Vom entsprechenden Werk des Theophrast sind jedoch nur Bruchstücke überliefert.[5]
Relevanz für die italienische Literatur
Auf den ersten Blick einleuchtend ist die Relevanz der elocutio für die Antike. Doch auch für nachfolgende Jahrhunderte blieb die antike Rhetorik ein zentraler Maßstab. Dies nicht nur im Bereich der Rhetorik im strengen Sinne, also im Bereich der Redekunst. Die Rhetorik war mindestens bis zum Ende der Frühen Neuzeit auch maßgeblich für italienischsprachige Literatur bzw. Dichtung von Bedeutung. Rhetorik und Poetik waren also lange Zeit aufs Stärkste miteinander verwoben. Insofern ist die Kenntnis der grundlegenden Aspekte der (antiken) Rhetorik auch für die Analyse von Texten anderer Epochen unentbehrlich.[6]
Literaturnachweise
- Vgl. LAUSBERG, Heinrich 2008: Handbuch der literarischen Rhetorik, Stuttgart, S. 139, dort auch mit dem Verweis auf Quintilians Institutio Oratoria, in der sich diese Begriffe in III, III, 1 finden, sowie auf Ciceros De Oratore.[↩]
- Zum aptum vgl. kompakt LAUSBERG, Heinrich 2008: Handbuch der literarischen Rhetorik, Stuttgart, S. 507–511 sowie vgl. SPANG, Kurt 1994: „Dreistillehre“, in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2: Bie-Eul, hg. von Gert Ueding u.a., Tübingen, S. 921–972, hier: S. 922.[↩]
- ANONYM/[CICERO] 1954: „Ad C. Herennium (de ratione dicendi)“, in: Rhetorica ad Herennium, übersetzt von Harry Caplan, Cambridge, MA, S. 2–410, hier: S. 6 [=I, II, 3]; Die deutsche Übersetzung stammt aus: „De Ratione Dicendi Ad C . Herennium/Die Rhetorik an Herennius“, in: Rhetorica ad Herennium, Lateinisch-Deutsch, hg. und übersetzt von Theodor Nüßlein, S. 6–319, hier: S. 9.[↩]
- In der Rhetorik des Aristoteles heißt es z.B. im dritten Buch, dass ganz der léxis gewidmet ist: „We have therefore next to speak of style; for it is not sufficient to know what one ought to say, but one must also know how one ought to say it, and this largely contributes to making the speech appear of a certain character.“ [„Περὶ δὲ τῆς λέξεως ἐχόμενόν ἐστιν εἰπεῖν· οὐ γὰρ ἀπόχρη τὸ ἔχειν ἃ δεῖ λέγειν, ἀλλ᾿ ἀνάγκη καὶ ταῦτα ὡς δεῖ εἰπεῖν, καὶ συμβάλλεται πολλὰ πρὸς τὸ φανῆναι ποιόν τινα τὸν λόγον.“], ARISTOTELES 2020: „Αριστοτέλους τέχνης ρητορικής“, in: Aristotle. Art of Rhetoric, übersetzt von J. H. Freese, überarbeitet von Gisela Striker, Cambridge, MA, S. 1–468, hier S. 347 (Übs.) sowie S. 346 (Original) [= III, I, 2].[↩]
- Vgl. SCHIRREN, Thomas 2008: „ Rhetorik und Stilistik der griechischen Antike“, in: Rhetorik und Stilistik, Bd. 1, hg. von Ulla Fix, Andreas Gardt, Joachim Knape, S. 1–25, hier: S. 14.[↩]
- Vgl. u.a. PLETT, Heinrich F. 1994: „Renaissance-Poetik. Zwischen Imitation und Innovation“, in:
Renaissance-Poetik / Renaissance Poetics, hg. von Heinrich F. Plett, Berlin, S. 1–20, hier v.a. S.9; vgl. außerdem BUCK, August 1994: „Poetiken in der italienischen Renaissance. Zur Lage der Forschung“, in: Renaissance-Poetik / Renaissance Poetics, hg. von Heinrich F. Plett, Berlin, S. 23–36.[↩]